Spirituelle Leidenschaft
Leidenschaftliches Beten
- ein Schlüssel zur persönlichen Erweckung
Joachim Hübel
Viele Charismatiker und Pfingstler lieben es, im Gebet laut zu werden. Weil Gott schwerhörig ist? – Nein! – „aber er hat auch keine schwachen Nerven“, pflegt einer ihrer bekannten Evangelisten zu erwidern, wenn er auf seine Lautstärke beim Beten hin angesprochen wird und den Hinweis erhält, es ginge auch leiser, denn Gott sei ja nicht schwerhörig.
Lautstärke ist ein Indikator für Freude und Leidenschaft. Wenn Kinder laut rumschreien, dann streiten sie entweder leidenschaftlich – oder sie spielen voller Begeisterung. Auch bei Erwachsenen erhöht sich die Lautstärke, wenn sie einer Beschäftigung voller Leidenschaft nachgehen – zum Beispiel ein Fußballspiel verfolgen und dabei ihre Mannschaft anfeuern … Warum sollen wir Gläubigen da nicht lauter werden, wenn es um viel wichtigere Dinge geht, wie Beten oder darum, unseren Gott und Herrn im Lobpreis zu erheben!
Wenn unsere farbigen, afrikanischen Brüder und Schwestern beten, dann tun sie das ebenfalls sehr leidenschaftlich und laut. Davon können wir uns „eine Scheibe abschneiden“. Denn laute Gebete haben etwas mit geistlicher Leidenschaft zu tun.
Aus Erweckungsberichten geht hervor, dass die Lautstärke regelmäßig ansteigt, wenn die „Salbung“ des Heiligen Geistes auf eine Versammlung kommt. Der Umkehrschluss, dass die „Salbung“ herabkommt, wenn man im Gebet nur laut genug schreit, hat sich nicht bestätigt. Ganz so einfach ist es wohl doch nicht. Diese Erfahrung machte ich auch in meiner Bibelschulzeit. Ab und zu begab ich mich in den „lauten Gebetsraum“ im Keller, um mal so richtig loszulegen und „zum Herrn zu schreien“. Aber in den meisten Fällen blieb ich auf dem Trockenen sitzen, weil ich das als Methode einsetzen wollte. Und doch besteht zwischen beiden Faktoren – dem begeistertem Beten und der „Salbung“ - ein Zusammenhang. Leidenschaftliche Spiritualität ist der Ausdruck einer authentischen Hingabe, die die ganze Person umfasst – also auch die Stimmbänder, die Arme und die Beine - und die Gefühle.
„Jeder, der den Namen des Herrn (im Gebet) anrufen (nicht: anflüstern) wird, wird errettet werden.“ (Röm 10,13) Das Rufen und Schreien zum Herrn ist oftmals ein Indikator dafür, wie dringlich unser Anliegen ist. Wenn Kinder um den Mittagstisch versammelt sind, dann bekommen die Schreihälse ihr Essen oft als letztes ausgeteilt. Am Tisch des Herrn herrschen jedoch andere Benehmensregeln. Wenn das akustische „Geschrei“ auch ein Schrei des Herzens ist (Ps 119,145), dann findet es beim Herrn schnell Beachtung und Erhörung: „Gott aber, sollte er das Recht seiner Auserwählten nicht ausführen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, und sollte er es bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch, dass er ihr Recht ohne Verzug ausführen wird.“ (Lk 18,7.8 – siehe auch Ps 4,4; 17,6; 88,2.3)
In manchen Kreisen ist es geradezu verpönt, im Gebet laut zu werden. Man möchte ja nicht als „Schwarmgeist“ gelten und senkt seine Stimme andächtig vor Gott. Aber damit stutzt man sich selbst die Flügel. Ich habe beides miterlebt: Gebete, die man vor Lautstärke nicht mehr verstand, und solche, die so „demütig“ geflüstert wurden, dass man ebenfalls fast kein Wort mehr verstehen konnte. Das ist schade, denn in beiden Fällen kann man sein „Amen“ nicht mit in die Waag-schale und auf den Räucheraltar geben (siehe 1.Kor 14,16; Mt 18,19; Offb 5,8; 8,3).
Kann Gott Gebete im Flüsterton überhaupt (er)hören? Ja natürlich – vorausgesetzt sie werden auf „Glaubensflügeln“ zum Herzen Gottes empor gesandt (siehe Hebr 11,6; Mk 11,24). Er hört und beantwortet sogar völlig lautlose Gebete, die allein im Herzen gesprochen werden. Das sehen wir am Gebet Eliesers bei der Brautwerbung für Isaak (1.Mo 24,45.42ff) und am Flehen Hannas um einen Sohn (1.Sam 1,10-17.27). Gott, der Allwissende, sieht und hört ins Verborgene: „Denn das Wort ist nicht (o. noch nicht) auf meiner Zunge – siehe, HERR, du weißt es genau.“ (Ps 139,4) Dennoch finden wir in der Bibel weitaus mehr Gebete, bei denen man laut(stark) „die Stimme zu Gott erhebt“ (Apg 4,24 – siehe auch Ps 3,5; 77,2). Das hat mitunter sogar zur Folge, dass „sich die Stätte bewegt“ (Apg 4,31).
Sicherlich ist die Gebetskraft nicht von der Lautstärke abhängig. Es ist schwer vorstellbar, dass Jesus sich mit seinem „hohepriesterlichen Gebet“ (Joh 17) schreiend an den himmlischen Vater wandte. Trotzdem können wir davon ausgehen, dass seine Fürbitte vollständig erhört wurde (Joh 11,42; 1.Kor 12,12.13). Doch auch bei unserem Herrn gab es Zeiten, in denen er mit aller Kraft zum Vater schrie: „Denn er hat in den Tagen seines Fleisches sowohl Bitten als Flehen mit starkem Geschrei und Tränen dem dargebracht, der ihn aus dem Tod erretten kann, und ist um seiner Gottesfurcht willen erhört worden ...“ (Hebr 5,7). Aber nicht erst am Tiefpunkt seiner Passion wurden die Gebete Jesu laut. Schon vorher gab es Stunden, in denen Jesus laut „im Geist frohlockte“ und den Vater aus vollem Herzen und Munde pries (Lk 10,21). Das Lukas-Evangelium verwendet hierfür den griechischen Begriff „agalliao“. Er bedeutet auch „jubeln“ und „vor Freude springen“. In jedem Fall beschreibt er eine „überschäumende und ekstatische Fröhlichkeit und Wonne“ (rev. Elberfelder Studienbibel mit Sprachschlüssel). Beeindruckend sind auch die Berichte darüber, wie die Apostel Petrus und Paulus im Gebet „in Verzückung“ gerieten (Apg 10,10; 22,17). Diese „prophetische Ergriffenheit“ kennen wir bereits aus dem Alten Testament, wenn die „Hand des HERRN“ (die „Salbung“) über jemanden kam (1.Sam 10,6.10; 2.Kö 3,15). Der im Neuen Testament verwendete griechische Begriff für „Verzückung“ lautet „ekstasis“. Sicherlich gibt es auch fleischliche und dämonische Formen der Ekstase. Die vom Heiligen Geist bewirkte Ekstase ist jedoch ganz anderer Art. Sie setzt uns frei und führt uns direkt in die Gegenwart Gottes.
Ähnliches erfahre ich regelmäßig selber, wenn ich mir für ein paar Tage Zeit nehme und mich allein in das Ferienhaus meines Vaters zurückziehe. In der ländlichen Abgeschiedenheit komme ich zur Ruhe und mache geistlichen „Wellness-Urlaub“. Da kann ich völlig ungestört die Bibel und geistliche Literatur studieren, anhaltend beten - und vor allem: lautstark „meine Stimme zum Herrn erheben“. (Das Alleinsein bewahrt mich dabei vor spektakulärem „Show-Gebet“.)
Auch diesmal (im November 2004) machte ich wieder die erhebende Erfahrung: Ich war niedergeschlagen und innerlich blockiert. Da spürte ich den Impuls, einfach aufzustehen, meine negativen Gefühle zu ignorieren und lauthals den Herrn zu preisen ... weiterlesen im pdf-Dokument